Zum Hauptinhalt springen Skip to page footer

Aktuelle Entwicklungen im ukrainischen Landwirtschaftssektor

Dr. Heinz Strubenhoff ist unser Experte im Deutsch-Ukrainischen Agrarpolitischen Dialog (APD), der vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) gefördert und von der IAK Agrar Consulting GmbH als Federführer im Konsortium mit der AFC Agriculture and Finance Consultants GmbH und dem Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO) durchgeführt wird.

Dr. Strubenhoff, wie wird die Ernte in der Ukraine in diesem Jahr ausfallen? Werden die Erträge hoch oder gering sein?

Die Wetterlage im Frühjahr war gut und die Ernteaussichten sind trotz der sinkenden Produktionsintensität aufgrund der Preisschere nicht so schlecht. Zwar werden die Rekordzahlen von 2021 nicht erreicht (100 Mio. t Getreide und Ölsaaten), aber die Gesamternte wird mit ca. 65 Mio. t Getreide und Ölsaaten von Marktakteuren als zufriedenstellend eingeschätzt. Die Binnennachfrage wird rund 30 Mio. t nicht überschreiten, sodass etwa 35 Mio. t exportiert werden müssen. Das entspricht ca. 3 Mio. t pro Monat. Generell gehen die Zahlen für Getreide zurück; die Zahlen für Ölsaaten bleiben konstant. Die Rapsernte erreicht sogar das Vorjahresniveau.

Russland hat das Getreideabkommen aufgekündigt. Wohin mit der Ernte? Über welche Wege kann das Getreide nun exportiert werden?

Die Aufkündigung des Getreideabkommens durch die russische Seite bereitet Sorge. Zum jetzigen Zeitpunkt ist nicht abzusehen, wie es weitergeht. Entscheidend für den Export sind jetzt die Häfen an der ukrainisch-rumänischen Grenze, Ismajil und Reni, und der wichtigste rumänische Exporthafen Konstanta. Die „Solidarity Lanes“ [Anm. der Redaktion: „Solidaritätsstraßen“, die die EU-Kommission eingerichtet hat, um der Ukraine beim Export landwirtschaftlicher Güter zu helfen] über die Westgrenze per Bahn und LKW bleiben aber genauso wichtig. Bauernproteste in fünf Nachbarländern der Ukraine (Polen, Rumänien, Ungarn, Slowakei und Bulgarien) haben dazu geführt, dass dort jeweils nationale Restriktionen für den Import von Weizen, Mais, Sonnenblumen- und Rapssaat erlassen wurden. Der Transit durch die genannten Länder in andere EU-Länder ist davon ausgenommen. Im September sollen die nationalen Importrestriktionen aufgehoben werden; dies steht jedoch noch nicht fest, da in Polen im Herbst gewählt wird und die Entwicklungen dort auch in die Nachbarländer austrahlen.

Der Transit zu europäischen Seehäfen, der Futtermittel- und Biodieselindustrie sowie der Ernährungswirtschaft in der EU, die ukrainisches Getreide und Ölsaaten nachfragen, wird wahrscheinlich weiterlaufen. Entscheidend sind hier die Grenzkontrollen, die den ohnehin teuren LKW- und Bahntransport noch einmal verteuern.

Die wichtigsten Importeure von ukrainischem Getreide sind asiatische Länder (v.a. China), arabische Länder (v.a. Ägypten), afrikanische Länder und EU-Länder, die Futtergetreide und Ölsaaten einführen.

Wie könnte diese Entwicklung deutsche Landwirtinnen und Landwirte (z.B. preislich) beeinflussen?

Das Getreideabkommen hat eine gewisse Signalwirkung, aber die Preissprünge sind nicht vergleichbar mit denen zu Beginn des Krieges im vergangenen Jahr. Die Probleme sind jetzt eingepreist. Die Preise in Deutschland hängen auch sehr viel stärker von globalen Märkten ab als von den ukrainischen Exporten in die EU. Hier spielen Wetteraussichten, Ernteprognosen, Lagerbestände etc. eine große Rolle. Wenn jedoch zusätzlich zu den ukrainischen Exportproblemen in einem wichtigen Exportland noch wetterbedingte Ernteausfälle hinzukommen, werden die Preise möglicherweise noch einmal steigen. 

Die EU ist Nettoimporteur von Ölsaaten und Pflanzenölen, bei Getreide wird v.a. Futtergetreide importiert und Brotgetreide exportiert. Zusammenfassend lässt sich deshalb sagen: Für deutsche Landwirtinnen und Landwirte, die qualitativ hochwertige Produkte herstellen, sind die ukrainischen Importe weniger relevant als die Situation auf dem globalen Markt.

1.8.2023, aus Kiew

04.08.2023
Ausland Inland